Steinhagen gewinnt vor Gericht

Steinhagen und 90 andere klagende Kommunen haben erfolgreich gegen das Land Nordrhein-Westfalen geklagt. Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat am 8. Mai zugunsten der Kommunen entschieden.

Aufgrund der einseitigen Verteilung der Lasten der Deutschen Einheit in Nordrhein-Westfalen klagten 91 Kommunen, darunter Steinhagen, gegen das Land. Die Entscheidung verkündete das Gericht am 8. Mai, also unmittelbar vor der Landtagswahl am 13. Mai.  Nach dem vom Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP unmittelbar vor der Landtagswahl 2010 verabschiedeten Einheitslastenabrechnungsgesetz werden nur 251 Mio. der von den Städten und Gemeinden geforderten 1,8 Mrd. Euro an die Kommunen zurückgezahlt. Am 17. April 2012 verhandelte der Verfassungsgerichtshof in Münster in mündlicher Verhandlung. Die Entscheidung wurde am 8. Mai um 10.30 Uhr verkündet. Die Entscheidung ist für die neue Landesregierung und den neuen Landtag bindend. "Die jetzige rot-grüne Landesregierung ist wesentlich kommunalfreundlicher als die Alte. Rückzahlungen an das Land, die das alte Gesetz vorsah, sind so vom Land freiwillig bis zur Entscheidung des Gerichts ausgesetzt worden", so Klaus Besser.

91 Städte und Gemeinden haben am 7. Februar 2011 Kommunalverfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof NRW in Münster eingelegt. Alle Kommunen des Kreises Gütersloh beteiligen sich an dem Verfahren. Die Beschwerde richtet sich gegen das Gesetz zur Abrechnung der Lasten der Deutschen Einheit mit den Kommunen, das Anfang 2010 mit den Stimmen der damaligen Mehrheitsfraktionen (CDU und FDP) vom Landtag verabschiedet wurde.

„Wir wehren uns gegen die überhöhte Beteiligung der Kommunen an den Kosten der Deutschen Einheit. Die Kommunen in NRW fordern eine nachvollziehbare und inhaltlich überzeugende Abrechnung der einheitsbedingten Lasten“, erklärten der Geschäftsführer des Städtetages NRW, Dr. Stephan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages NRW, Dr. Martin Klein, und der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, Dr. Bernd Jürgen Schneider.

Obwohl das Land mittlerweile sogar Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich erhält (im Jahr 2010 mehr als 350 Millionen Euro), unterstellt es im Einheitslastenabrechnungsgesetz statt dessen Belastungen in Höhe von etwa 800 Millionen Euro jährlich, die es bis zum Jahr 2019 fortschreibt. Die Beteiligung der Kommunen an diesen fingierten Lasten würde bis zum Ende des Solidarpakts zu kommunalen Überzahlungen in einer Gesamthöhe von rund 2 Milliarden Euro führen, so die kommunalen Spitzenverbände.

„Angesichts der ohnehin schon desolaten Lage der Kommunalfinanzen ist diese Berechnung absolut inakzeptabel und führt alle Bemühungen zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte ad absurdum“, so die Hauptgeschäftsführer weiter. Die Verfassungsbeschwerde werde daher von weiteren 142 Städten und Gemeinden finanziell und ideell unterstützt. Auch die Kreise haben ihre Solidarität erklärt.

„Wir begrüßen, dass die neue Landesregierung eine Stundung der Abrechnung der Einheitslasten bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vorgenommen hat. Ein Methodenwechsel zu Lasten der Kommunen - zwanzig Jahre nach Herstellung der Deutschen Einheit – widerspricht geltendem Recht und ist ‚Politik nach Kassenlage’“, sagten die Hauptgeschäftsführer der kommunalen Spitzenverbände im Vorfeld der Entscheidung.

Seit 2006 ist die Verteilung der Lasten der Deutschen Einheit in Nordrhein-Westfalen zwischen Land und Kommunen streitig. Nach bundesgesetzlichen Vorgaben tragen vom Länderanteil höchstens 40 v. H. die Kommunen. In Nordrhein-Westfalen wird dieser Prozentsatz seit 2006 deutlich zu Lasten der Kommunen überschritten.
Steinhagen und 20 weitere Städte und Gemeinden hatten daher 2006 Verfassungsbeschwerde gegen das Land vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster erhoben. Mit Urteil vom 11.12.2007 hatte das Gericht das Land verpflichtet, die bundesgesetzlichen Vorgaben zu beachten. Seither haben die kommunalen Spitzenverbände vergeblich mit dem Land über die Höhe der Verteilung der Einheitslasten verhandelt.
Nach mehreren, zum Teil kontroversen Gutachten, die vom Land einerseits und den kommunalen Spitzenverbänden andererseits in Auftrag gegeben wurden, ist der Landtag Anfang Februar 2010 mehrheitlich einem Gesetzentwurf von Landesinnenminister Ingo Wolf (FDP) gefolgt, der die Abrechnung der Einheitslasten von 2006 bis 2008 regelt und die Abrechnungssystematik von 2007 bis 2019 festlegt (Einheitslastenabrechnungsgesetz).
Steinhagen wurden jetzt rd. 1,5 Mio. Euro nachgezahlt, die im Haushalt 2010 als Ertrag bereits eingeplant waren. "Trotzdem mißachtet das Land nach wie vor die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes vor dem Hintergrund der bundesgesetzlichen Regelungen", so Bürgermeister Klaus Besser. Er verweist auf das Finanz- und Rechtsgutachten von Frau Prof. Dr. Gisela Färber, das diese im Auftrag der Kommunalen Spitzenverbände erstellt hat. Es kommt im Ergebnis zu deutlich höheren Erstattungsleistungen des Landes an die Kommunen.
"Es war daher notwendig, erneut den Verfassungsgerichtshof des Landes anzurufen", so Klaus Besser. An dem Verfahren beteiligen sich in enger Abstimmung mit den vom Städte- und Gemeindebund nahezu alle Kommunen, so auch Steinhagen. "Selbstverständlich haben wir uns bereit erklärt, wie bereits 2006 zusammen mit anderen Städten und Gemeinden eine Musterklage zu erheben", so Klaus Besser. "Schließlich geht es um mehrere Millionen Euro für unsere Gemeinde".
Vorsorglich hat Steinhagen gegen alle seit 2006 ergangenen Bescheide des Landes Rechtsmittel eingelegt (Widerspruch bei der Bezirksregierung bzw. Klage vor dem Verwaltungsgericht). Die Verfahren sind bis zu einer abschließenden (erneuten) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ausgesetzt.

Die mündliche Verhandlung fand am 17. April 2012 vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster statt. Für die Gemeinde Steinhagen nahm Kämmerer Dieter Fritsche an der Verhandlung teil. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Kreises Gütersloh wurden durch ihren Sprecher Klemens Keller aus Borgholzhausen vertreten.

Der Vorsitzende des Verfassungsgerichtshofes stellte insbesondere den Vertretern des Landes wiederholt kritische Fragen, die diese aber nur unzureichend beantworten konnten. Offenbar hatte das Gericht begründete Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Einheitslastenabrechnungsgesetzes, weil es den horizontalen und vertikalen Finanzausgleich zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen unzureichend berücksichtigt und ausschließlich auf den Länderfinanzausgleich abstellt. Dies wurde am 8. Mai bei der mündlichen Urteilsbegründung durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Dr. Bertrams u. a. wie folgt erläutert: Die neue Einheitslastendefinition des Einheitslastenabrechnungsgesetzes verletze die kommunale Finanzausstattungsgarantie, weil den Kommunen dadurch Mittel vorenthalten würden, die ihnen kraft Bundesrechts zustünden. Die Finanzierungsbeteiligung der Gemeinden an den Lasten der Deutschen Einheit beziehe sich nach dem Gemeindefinanzreformgesetz des Bundes - neben den verbleibenden Belastungen der Länder im Zusammenhang mit dem "Fonds Deutsche Einheit" - auf die Belastungen, die den alten Ländern aus der Einbeziehung der neuen Länder und des Landes Berlin in den bundesstaatlichen Finanzausgleich entstünden. Der bundesstaatliche Finanzausgleich umfasse gemäß Art. 106, 107 Grundgesetz im Wesentlichen vier Stufen (vertikale Verteilung des Steueraufkommens auf den Bund und die Gesamtheit der Länder, horizontale Aufteilung des auf die Länder entfallenden Steueraufkommens einschließlich des sogenannten Umsatzsteuervorwegausgleichs, Länderfinanzausgleich im engen Sinne, Bundesergänzungszuweisungen). Auf allen diesen Stufen sei es im Zuge der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zum Jahr 1995 zu Veränderungen gekommen. Bestandteil der Neuordnung sei die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder von zuvor 37 auf 44 Prozentpunkte gewesen. Diese Rechtsänderung auf der ersten Stufe des bundesstaatlichen Finanzausgleichs senke die Einheitslast der Länder und müsse auch den Kommunen im Verhältnis ihrer prozentualen Beteiligung zugute kommen. Das Einheitslastenabrechnungsgesetz werde dem insoweit nicht gerecht, als es sich auf eine Quantifizierung der jährlichen einheitsbedingten Mehrbelastung des Landes im Länderfinanzausgleich im engen Sinne beschränke.

"Es geht hier nicht um die Verteilung zwischen Ost und West, sondern zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den 396 Städten und Gemeinden in diesem Bundesland", so Bürgermeister Klaus Besser. Die Einheitslasten wurden in Nordrhein-Westfalen seit 2006 zu Lasten der Kommunen und zugunsten des Landes verschoben. "Damit ist hoffentlich jetzt bald Schluss", hofft Klaus Besser auf eine verfassungskonforme Neuregelung nach der Landtagswahl. Die kommunalen Spitzenverbände halten eine Regelung, wie sie bis 2006, also vor der Zeit der CDU/FDP-Rüttgers-Regierung bestand, aus Sicht der Kommunen für akzeptabel.

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