Mit zwei Urteilen vom 27.02.2018 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Dieselfahrverbote in Ausnahmefällen für möglich erachtet. Es müsse allerdings vorher genau geprüft werden, ob andere Maßnahmen geeigneter sind und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse streng beachtet werden. Damit ist ein generelles Dieselfahrverbot nahezu ausgeschlossen.
Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne der beiden Städte, in denen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge als zulässig erachtet wurden, sind nicht zu beanstanden, so das höchste deutsche Verwaltungsgericht in Leipzig. Allerdings müssen künftig bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinen beiden Urteilen vom 27.02.2018 entschieden und damit die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen (Az.: 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (Az.: 7 C 30.17) gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zurückgewiesen.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe verpflichtet, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte, also das Land NRW, sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte, also nicht für alle, Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte das Land Baden-Württemberg verpflichtet, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO in Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NO von 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die gegen diese Urteile eingelegten Sprungrevisionen der Länder zurückgewiesen. Die verwaltungsgerichtlichen Urteile seien vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichteten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 01.01.2010 geltenden Grenzwerte für NO so kurz wie möglich zu halten.
Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lasse das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung (“Plakettenregelung“) sei der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette).
Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO-Grenzwerte ergebe sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben müsse, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich sei. Deshalb blieben die “Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweise, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten. "Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen", sagte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher. Die zuständigen Landesbehörden hätten es in der Hand, einen "Flickenteppich" zu verhindern.
Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart habe das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstelle. Hierbei müsse jedoch sichergestellt werden, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe. Insoweit sei hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürften Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 01.09.2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedürfe es hinreichender Ausnahmen, zum Beispiel für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.
Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies müsse der Beklagte nachholen. Ergebe sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte darstellen, seien diese - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen. Die Straßenverkehrsordnung ermögliche die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote sei zwar gegenüber einer “Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führe allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung.
Es bleibt somit offen, ob und wenn ja in welchen Zeiträumen und für welche Fahrzeuge es möglicherweise Fahrverbote in einzelnen Städten gibt. Neben Dieselfahrzeugen können auch ältere Fahrzeuge mit Ottomotoren betroffen sein. Wie Straßenverkehrsbehörden und Polizei Fahrverbote, sollten sie in einzelnen Städten eingeführt werden, in der Praxis überwachen sollen bleibt somit ebenfalls offen. Hierfür und für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen entsteht bei den Städten ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Es ist davon auszugehen, dass auch gegen Fahrverbote gerichtlich vorgegangen wird, um im Einzelfall zu klären, ob die Maßnahme wirksam und verhältnismäßig ist.